Rock Hard Festival 2022 – Samstag der 4. Juni
Der im Traum eingebaute Vorschlaghammer um 9:00 Uhr entpuppte sich relativ schnell als die Flache Hand von unserem Redakteur René, der zärtlich auf Kopfhöhe gegen die Camper-Wand bollert: Guten Morgen Rock Hard, ich bin dann jetzt wach!
Campen darf man auf dem Parkplatz P1 natürlich nicht, aber in seinem Auto übernachten. Ein Blick über den Parkplatz verrät: das haben auch einige gemacht. Nach der ersten Kanne Kaffee und einem leckeren Frühstück geht’s ab zum Infield. Als „Wake-Up-Call“ stehen INDIAN NIGHTMARE auf der Bühne. Alter Gevatter haben die Berliner Speedmetalpunk-Jungs Hummeln im Hintern! Die 5 liefern nicht nur eine energiegeladene Show, sondern auch ein solides Workout für den Morgen. Das gilt sowohl für die energiegeladene Combo, die mit Sicherheit einen Halbmarathon auf die die Bühne gelegt haben, als auch für die Nackenbereiche der Crowd, die amtlich die Mähnen wehen lässt.
Nächster Halt: SUICIDAL ANGELS. Beim Soudcheck-Geboller wird mir kurz mulmig. Wenn der Sound so bleibt: gute Nacht Marie. Also, auf in den Fotograben und los geht der Ritt. Tatsächlich ist der Bass am Anfang viel zu laut und bollert solide gegen die Verständlichkeit der Stimme von Fronter Nick Melissourgos. Irgendwo zwischen den ersten drei Songs Endless War, Born of Hate und Years of Agression bekommt der Mischer das Amphitheater aber in den Griff und beim Weg aus dem Graben schallt ein solider Sound durch die Gelsenkirchener Spielstätte. Wie sollte es auch anders sein, beenden SUICIDAL ANGELS ihren Gig mit Apokathilosis. Auf dem Weg hierhin hat die Crowd eine Wall of Death und diverse Pits hinter sich. Good Job!
INDIAN NIGHTMARE und SUICIDAL ANGELS haben bis jetzt schon ordentlich Spannung aufgebaut. Die Meute ist wach und durstig. Die Bierrucksäcke ziehen langsam ihre Runden und an den Bierständen verstetigt sich die Frequenz. Man könnte sagen: Betriebstemperatur erreicht.
Widererwartend geht es jetzt nicht schneller, härter, lauter weiter, sondern mit VILLAGERS OF IOANNINA CITY. Kompositorisches Können trifft bei der griechischen Kombo auf präzises Spiel und einen ausgewogenen Sound. Für den Stil der Band möchte ich an dieser Stelle Wikipedia zitieren: „They play post, stoner and psychedelic rock with a large dose of Greek folk music from the region of Epirus.“ (vgl. Wikipedia)
Ergänzend würde ich hier noch progressive Parts sehen, bin aber ansonsten mit der Einordnung einverstanden.
Die Verschnaufpause mit VILLAGERS OF IOANNINA CITY kommt bei den Metal-Heads hervorragend an und viele genießen die Show auf den Treppen des Amphitheaters.
Weiter geht es mit epischem Metal von ATLANTEAN KODEX. Die deutsche Kombo ist schon lange kein Geheimtipp mehr und hat sich verdient einen Namen gemacht. Auch auf dem Rock Hard Festival 2022 liefert die Band solide ab und hat das Publikum von Anfang bis Ende fest im Griff. Getaugt hätten sie auch als Opener, gehört hätten sie definitiv auf einen späteren Slot – aber eigentlich passt das Billing an diesem Samstag so wie es ist.
Vor der nächsten Combo bekomme ich das Getöse eines Besuchers mit, dem die folgende Kapelle einfach nicht Metal genug ist. „Und was soll das eigentlich, das so eine Band überhaupt auf einem Festival spielen darf.“ Die umliegende Crowd reagiert gelassen genervt auf den, dem es nicht „true“ genug ist und ignoriert das Gesabbel weg. Es ist schön zu sehen, dass die Szene eigentlich nur gegenüber Intoleranz wirklich intolerant ist. Ich überlege kurz, ob ich Häuptling True zur Wiederherstellung seiner musikalischen Männlichkeit empfehlen soll, zu Wagners Walkyren-Ritt auf einer brennenden Harley in die Uckermark einzufallen, verwerfe den Gedanken dann aber wieder schnell, denn dann wäre ich ja genau so intolerant wie er.
Entgegen der Befürchtung von Häuptling True schlagen THE NIGHTFLIGHT ORCHESTRA ein wie eine Bombe und verbreiten eine dermaßen ausgelassene Stimmung, dass die meditative Ruhe nach den VILLAGERS OF IOANNINA CITY nun endgültig verflogen ist. Passend zur knackigen Sonne liefern die Schweden um Björn Strid eine großartige Show ab und versprühen tonnenweise „good vibes“. Das sieht die Crowd ähnlich und steigert während des Gigs langsam aber stetig das Eskalations-Level. Und ja! Tanzen und Polonaisen gehören auch auf ein Metal-Festival. Zudem konnte am Ende nun wirklich keiner mehr seine Extremitäten still halten. Um kurz vor 18:00 Uhr beenden THE NIGHTFLIGHT ORCHESTRA ihren Gig würdig mit West Ruth Ave. Was ein Fest!
Time for German Heavy Metal! GRAVE DIGGER stehen als nächstes auf der Speisekarte und übernehmen eine disco-gefeeverte Meute von den Schweden. Begleitet von BAGS & PIPES und gesanglicher Unterstützung rocken die Gladbecker mit dem sehr überschaubaren Anfahrtsweg wie eine Heavy-Metal-Dampfwalze durch das Theater. Besonders überraschend war das gewählte Hit-Feuerwerk mit Songs wie Excalibur, Highland Farewell, Rebellion und Heavy Metal Breakdown jetzt nicht, aber das hat im Grunde auch keiner erwartet. BOLTENDAHL, RITT und CO. zeigen eine solide Metal Show vor vollen Rängen und einer tobenden Menge und verbreiten schon um 18:15 Uhr Headliner-Stimmung.
Schon im Verlauf des Vormittags machte die Nachricht die Runde, dass Campbell und Co. absagen mussten. Als Ersatz standen ASPHYX in den Startlöchern, die schon beim Rock Hard One Day ordentlich ausgeteilt haben. Fronter Martin Van Drunen ist trotz mehrfach betonter 6-wöchiger Pause voller „Vögeln und Saufen“ in Bestform und teilt auch heute wieder ordentlich aus. Diesmal trifft es den Kreml und nicht die Maskenpflicht, wie beim One Day.
Die Fans sind mit dem Tausch zu ASPHYX großteils mehr als zufrieden und feiern das sauber abgelieferte Set der Niederländer gebührend ab.
Headliner: BLIND GUARDIAN. Für die Fantasy-Kult-Metaller aus dem schönen Krefeld gestaltete sich die Anreise relativ kurz und der Begriff „Heimspiel“ ist an dieser Stelle definitiv angemessen. Schon den ganzen Tag wimmelte es vor Guardian-Shirts im Amphitheater und somit war klar, was und wen die Menge wollte.
Zur Eröffnung zauberten die Barden vom Rhein der Meute direkt ein Lächeln aufs Gesicht: „Somwhere far beyond“ wird heute in voller Länge gespielt. Los ging es aber erstmal mit „Into the Storm“, „Welcome to Dying“, „Nightfall“ und „Time stands stil“. Danke, wir sind jetzt warm!
Ab Song 5 folgte dann das komplette Somwhere far beyond Set und zum Schluss gab es – natürlich – „Valhalla“ und „Mirror Mirror“.
Schon ab dem ersten Song war die Hütte zum Bersten gefüllt und die Stimmung bombastisch: Heimspiel halt. Die Bewegung fand wie gewohnt vor und weniger auf der Bühne statt und auch einige Evergreens von Hansi und Co. mussten dem „Far-Beyond-Set“ weichen. Aber wie sagen die Piraten so schön: Das war’s wert!
Nicht überrascht aber dennoch mit viel Klasse dominieren BLIND GUARDIAN als Headliner das Auenland zwischen Emscher und Rhein-Herne-Kanal und sind ein würdiger Abschluss für Abend zwei des Rock Hard Festivals.
